Advocacy/Transcripts/dradio-2010-07-26-de

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[0.00] dradio: Wir haben heute morgen schon gehört, dass Nokia vor allem deswegen keinen Fuß gegen Apples iPhone und die anderen Smartphones an den Boden kriegt, weil die finnische Firma in Sachen Software keine Vorreiterrolle einnimmt. Das passt zu der These, dass Software eigentlich die wichtigste Kulturtechnik des 21. Jahrhunderts ist, die unsere Gesellschaft ebenso geprägt hat wie auch das Lesen, Schreiben, Rechnen, Ackerbau, Buchdruck und Rundfunk. Das ist jedenfalls die Meinung des Vereins Free Software Foundation Europe, der sich für die Verbreitung Freier Software einsetzt. Ich bin jetzt verbunden mit Matthias Kirschner, er ist Deutschlandkoordinator der - abgekürzt - FSFE. Hallo Herr Kirschner!

[0.42] Kirschner: Guten Tag!

dradio: Herr Kirschner, Sie sagen: "Demokratie braucht Freie Software!", aber in der Realität ist ja noch nicht allzu viel davon zu merken, oder?

[0.49.8] Kirschner: Naja, also die These leitet sich ja davon ab, dass wenn ich jetzt den Hörern die Software abschalten kann, habe ich dadurch sehr viel Macht. Und in modernen Demokratien verteilen wir die Macht, also in Exekutive, Legislative, Judikative und wir verteilen auch die Macht zwischen verschiedenen Ebenen wie Bund, Länder und Kommunen, und dadurch, dass Software allgegenwärtig ist, nicht nur in unseren Computern, in unseren Laptops, sondern eben auch in ganz vielen anderen Geräten, Mobiltelefone, Kühlschränke, Aufzüge, Züge, dadurch müssen wir gewährleisten, dass die Kontrolle über so ein zentrales Werkzeug wie jetzt im Vergleich auch Lesen, Schreiben, Rechnen nicht bei einigen Wenigen liegt, sondern dass die Kontrolle darüber verteilt ist, auf viele Leute sich verteilt.

[1.36.8] dradio: Aber findet man denn irgendwo im Moment an solchen Stellen, wie Sie sie gerade genannt haben Freie Software?

[1.43] Kirschner: Ja. Also heute - kein Unternehmen kommt heute mehr ohne Freie Software aus, in jedem Unternehmen finde ich Freie Software. Das fängt an mit z.B., dass ich die Dateifreigabe damit regle, dass ich die Druckerfreigabe damit regle, wenn ich weitergehe, das ganze Internet ist aufgebaut mit Freier Software, also die Umsetzung von, wenn ich eine URL eingebe wie dradio.de, dass ich dann auf dem richtigen Rechner lande, das passiert mit Freier Software. Firewalls, heute auch, wir haben ja gerade das Beispiel genannt, Nokia Mobiltelefone, Android ist mit Freier Software umgesetzt worden, Nokia hat das alte Betriebssystem, das Symbian, jetzt veröffentlicht und macht auch das neue Betriebssystem mit GNU/Linux.

[2.25] dradio: Das klingt ja so, als hätte sich das eigentlich schon ganz gut durchgesetzt, stellt sich doch auch die Frage, warum schadet es der Demokratie, wenn alles mit Windows läuft?

[2.34] Kirschner: Na, wie würde es der Demokratie schaden, wenn wir keine Pressefreiheit hätten und wir nur einen Radiosender zum Beispiel hätten?

[2.40] dradio: Mhm.

Kirschner: Es ist jetzt nicht gleich ne akute Bedrohung, die sofort entsteht, es ist was, was sich entwickelt. Aber wir sehen heute schon den Schaden, den Freie Software [gemeint war: proprietäre Software] anrichtet, z.B. dadurch, also, die Regierungen haben dadurch nicht die Kontrolle über ihre eigenen Computer und über ihre eigenen Prozesse.

[3.01] dradio: Sondern die Unternehmen, die die Software angeboten haben.

Kirschner: Die Unternehmen, die die Software geschrieben haben können dadurch beeinflussen, was kann der Anwender mit der Software machen und kann mich dadurch beeinflussen.

[3.13] dradio: Haben Sie denn da ein konkretes Beispiel für, wo sowas tatsächlich schon ein Problem dargestellt hat oder darstellt?

[3.18] Kirschner: Zum Beispiel Island hatte vor längerer Zeit die Übersetzungen in isländisch bezahlt für das Microsoft Windows Betriebssystem und das war dann in der einen Version drin und in der nächsten Version ist es rausgefallen, also da waren die Übersetzungen nicht mehr drin und Microsoft hat dann gesagt, dass sie nicht für das Geld diese Übersetzung wieder einbinden können und Island konnte, dadurch, dass sie selber nicht Änderungen machen dürfen bei der Software, weil das ist ja, was unfreie Software nicht erlaubt, konnten sie nicht jemand anderen beauftragen, sondern sie sind auf einen einzigen Hersteller angewiesen. Der, von dem sie die Software bezogen haben. Bei FS ist es so, dass die Software mir erlaubt, dass ich die für jedden Zweck verwende, dass ich die Funktionsweise verstehen kann, dass ich sie weiter verbreiten kann und weiter verbessern kann. Dann hätte ich mir als Regierung einen anderen Auftragnehmer nehmen können und mir die Software in isländisch z.B. übersetzen lassen können.

[4.22] dradio: Das heißt, man braucht da aber auch, wenn man mit FS arbeitet, immer Experten, die sich damit gut auskennen, weil mir kommt jetzt in diesem Zusammenhang in den Kopf, dass ich irgendwann, vor zwei Jahren, glaube ich, wollte ich mal mein Uralt-Betriebssystem erneuern und hatte auch mit dem Gedanken gespielt, mich auf Linux einzulassen und dann rieten mir aber alle davon ab, weil sie eben meinten, dafür müsse man schon verstehen, was Programmieren und so angeht und dass dann vielleicht auch nicht alle Programme darauf laufen. Also dieses Problem hätte man aber nicht, wenn man sozusagen großflächig die Freie Software in Behörden oder so einsetzen würde, weil es da immer konkretes Fachpersonal gibt.

[4.59] Kirschner: Also erstmal: Freie Software wird heute schon in der öffentlichen Verwaltung eingesetzt, z.B. die Stadt München setzt komplett Freie Software ein, es ist ... das größte Problem für Freie Software ist im Moment mit für die Privatperson, dass ich es nicht vorinstalliert bekomme.

dradio: Mhm.

Kirschner: Also die ... Wenn ich heute in einen Laden gehe und mir einen Computer kaufe, dann ist auf dem Computer meistens Microsoft Windows installiert oder in manchen Fällen noch Apple, das Apple-Betriebssystem und dadurch kommt schonmal die erste Hürde für eine Privatperson, dass ich mir Software selbst installieren muss.

dradio: Mhm.

[5.34] Kirschner: Und das ist natürlich erstmal komplizierter, als wenn die Software einfach drauf läuft und ich meinen Browser aufmache, mein Emailprogramm aufmache und es einfach nur bediene.

[5.43] dradio: Ja, man muss sich ein bisschen mehr auskennen.

Kirschner: Ja, man muss sich am Anfang erst mal ein bisschen mehr auskennen.

[5.47] dradio: Wie ist es denn jetzt, also es klingt ja schon so, als sei es recht weit verbreitet mit der FS, aber trotzdem, die Free Software Foundation Europe setzt sich ja dafür ein, dass es noch viel weiter sich verbreitet. Wie arbeiten Sie denn, um dieses Ziel zu erreichen?

[6.02] Kirschner: Also wir sind ja ein europäischer Verein, wir haben in den unterschiedlichen Ländern in Europa dann wieder Ländergruppen, die sich dort um die einzelnen Länder kümmern. Wir haben übergeordnet wieder in anderen Kontinenten wie zB Nordamerika, Lateinamerika und Indien Schwesterorganisationen, die sich dort in dem kulturellen Kontext darum bemühen, Freie Software weiter zu bringen und wir machen ganz konkret Aufklärungsarbeit "Was ist FS", wir geben Vorträge, wir reden mit Leuten, wir gehen auf Veranstaltungen, dann geben ... wir sprechen mit Politikern über FS, wir unterstützen FS-Entwickler, dass weiter FS entsteht, sprechen dort mit den Unternehmen, versuchen die Probleme von FS-Unternehmen zu lösen, damit es für den Anwender mehr Freie Software gibt, wir sprechen mit anderen Unternehmnen, die Software einsetzen, welche strategischen Vorteile es für sie hat, Freie Software einzusetzen, dass ich dadurch meine Prozesse schneller ändern kann, dass ich besser darauf reagieren kann, was in meinem Unternehmen passiert und die Software nicht mich beeinträchtigt in meinen Handlungen.

[7.09] dradio: Haben Sie denn schon Erfolge zu verzeichnen?

Kirschner: Ja, auf jeden Fall! Also, einmal, wir sprechen jetzt über FS.

dradio: Mhm.

Kirschner: Politiker sprechen viel mehr über Freie Software als das füher so war. Wenn Sie früher zu einem Politiker gekommen sind und wollten mit dem über Freie Software sprechen, dann hat er erstmal das abgetan und gemeint, ja, das ist ja kostenlose Software. Wir haben letztes Jahr eine Kampagne zur Bundestagswahl gemacht und haben dort Politiker befragt zu FS, wie sie das umsetzen wollen. In den meisten Parteiprogrammen finden wir jetzt Ziele drin, dass Freie Software gefördert werden soll und die Politiker sind heute viel mehr sensibilisiert, fallen auch nicht mehr in die alten Missverständnisse zurück, dass Freie Software kostenlos ist, dass ich damit kein Geld verdienen kann und solche Sachen, sondern haben sehr viel informiertere Argumentationen. Daneben kommt dann eben auch Anerkennung, wir haben dieses Jahr die Theodor-Heuss-Medaille bekommen für unsere Arbeit und unser ehemaliger Präsident hat das Bundestverdienstkreuz bekommen und, wie am Anfang auch schon gesagt, immer mehr Unternehmen setzen Freie Software ein und immer mehr Unternehmen verdienen mit Freie Software Geld.

[8.20] dradio: Demokratie braucht FS, weil Software eines der zentralen Werkzeuge unserer modernen Gesellschaft ist und wir die Kontrolle darüber behalten sollten. Darüber sprach ich mit Matthias Kirschner von der Free Software Foundation Europe. Vielen Dank dafür!

Advocacy/Transcripts/dradio-2010-07-26-de (last edited 2016-03-21 18:20:40 by paul)